Donnerstag, 20. Oktober 2011

20.10.2011

hallo Letti,

heute habe ich einen "Gastschreiber" eingeladen. Sein Artikel stammt aus der ZEIT 42/2011:

Harald Martenstein "Hundefeindlichkeit gibt es. Kinderfeindlichkeit ist ein Klischee"

Harald Martenstein über den Umgang mit Hunden und Babys
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Kinder verändern die Einstellung zum Leben. Unter anderem verändert sich die Einstellung, welche man zu menschlichen Ausscheidungen hat. Babys sollten regelmäßig gewickelt werden, wussten Sie das?
Man muss es riechen, man muss es wegwischen und einpacken. Man muss die Konsistenz analysieren wie Sigmund Freud einst die Psyche seiner Patienten. Nach einer gewissen Zeit wird man dem Kind beibringen, aufs Töpfchen zu gehen. Manche Eltern machen dem Kind vor, wie es geht. Dies ist einer jener Momente des Lebens, die man unter keinen Umständen auf YouTube sehen möchte. Und dann gelingt es zum ersten Mal, und man tut beim Anblick des Häufleins so begeistert, als habe das Kind soeben, wie der junge Mozart, eine Sinfonie komponiert. Man strahlt und lobt. Man ist dabei nicht wirklich authentisch. Aber, und diese Tatsache gehört in die Kategorie »Wunder des Lebens«, man findet es niemals eklig.
Dies alles hatte ich vergessen, denn das Kind ist aus dem Haus. Nun habe ich einen Hund.
Es ist das Gleiche. Wieder bestimmt ein Ausscheidungsapparat den Tagesablauf. Morgens in der Frühe heißt es: Gassi. Spät am Abend, zu jener Stunde, in der sich der hundelose Mensch seinen Gedanken, den Drogen oder sexuellen Hobbys hinzugeben pflegt, wird fleißig Gassi gegangen. Ich klage nicht. Der Hund gibt auch etwas, emotional und so. Man geht öfter spazieren, als es der Hausarzt jemals für möglich gehalten hätte. Und zu jeder Tageszeit weiß man, als Hundebesitzer, wie oft dieses liebenswerte Geschöpf an dem jeweiligen Tag bereits seinen Darm entleert hat. Mit dem Stuhlgang eines deutschen Durchschnittshundes kenne ich mich bereits nach wenigen Wochen besser aus als mit der deutschen Innenpolitik.
Man sammelt es auf und wirft es weg, deswegen hat man, wie früher Windeln, immer Plastikbeutel dabei. Beim Aufsammeln spürt man die Konsistenz und die Temperatur, beides erinnert, im Idealfall, an lauwarme Bratwurst. Es gibt einen hundepolitisch korrekten Fachbegriff für das, was der Hund tut, er lautet »sich lösen«. Wenn der Hund sein Bein hebt, »löst« er sich. Wenn ich bei Regenschauern draußen umhergehe, dann denke ich: »Löse dich, mein Freund.«
Oft wird gesagt, Deutschland sei ein kinderfeindliches Land. Ich halte das für ein Klischee. In einem Land, wo so oft über Kinderfeindlichkeit geredet wird, kann überhaupt keine Kinderfeindlichkeit herrschen, denn das Wesen echter Feindschaft besteht ja gerade darin, dass sie sich nicht infrage stellt. Hundefeindlichkeit gibt es. Man gehört zu einer Randgruppe. Man wird böse fixiert, auch und gerade, wenn der Hund sich löst. Eine Lobby gibt es nicht. Ich kann mich an keinen einzigen Leitartikel erinnern, in dem jemals zum Verständnis für sich lösende Hunde aufgerufen wurde.
Auf der anderen Seite gehört man, als Hundemensch, automatisch zu einer Art Ordensbund, man nickt einander zu, man kennt sich. Wir alle suchen unaufhörlich nach Lösungen. In Berlin gibt es eingezäunte Gebiete, wo man seine Freunde freilassen darf. Am Rand stehen Bänke. Dort sitzen die Hundehalter. Wenn es unter den Hunden Streit gibt, sagen die einen: »Das sollen die mal ruhig unter sich ausmachen.« Die anderen kommen ihrem Hund sofort zu Hilfe und behaupten, der andere Hund habe den Streit angefangen. Es ist wie auf dem Kinderspielplatz. Und nach einer Weile, da bin ich sicher, findet man auch den Geruch der Lösung angenehm, denn die Nase liebt mit.

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